„Zweites Gleis“: Gezielte Infektion mit Covid-19

Walter Roeb-Rienas, 2020-04-21

Hier finden Sie das Konzept „Zweites Gleis“ als pdf-Datei

Einleitung

Ein Wesensmerkmal einer Pandemie  – aktuell der Covid-19-Pandemie – ist, dass global alle Menschen mit einem – regional fluktuierend hohen – Infektionsrisiko belastet sind. Für jede einzelne Person besteht das unkalkulierbare Worst-Case-Risiko darin, dass sie eine Infektion nicht überleben könnte.

 Eine zuverlässige und dauerhafte Absicherung gegen dieses Risiko ist weder für eine einzelne Person, noch für eine Population realistisch, solange die Pandemiesituation fortbesteht und keine wirksame Impfung oder eine vergleichbare sichere Strategie verfügbar ist, die die Ausbreitung der Infektion zuverlässig begrenzen kann.

Oder einfacher ausgedrückt: es kann – unabhängig von Sozialstatus und Region – jeden erwischen und es ist schwer zu erkennen, ob das konkrete Infektionsrisiko steigt oder fällt.

Die bisherigen strategischen Maßnahmen (Lockdown, soziale Distanzierung etc.) haben regional zu einer Verlangsamung der Ausbreitung der Covid-19-Virus beigetragen und wahrscheinlich in Verbindung mit guten Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland viele Todesfälle verhindert. Der Erfolg solcher Maßnahmen ist in hohem Maße von der Bereitschaft der jeweiligen Bevölkerung abhängig, sich an die Vorgaben und Regeln zu halten. Sicher ist, dass bei solchen Maßnahmen, die hohe Anforderungen an die Compliance der beteiligten Personen stellen, im Laufe der Zeit Ermüdungseffekte  und Panikreaktionen eintreten, sodass die anfängliche mutmaßliche Wirkung nicht zuverlässig auf die Zukunft übertragbar ist. Hamsterkäufe und zunehmender Alkoholkonsum sind Indikatoren für ein steigendes Angstniveau in der Bevölkerung, wobei die Betroffenen unter Umständen selbst nicht wissen, ob die Quelle der zunehmenden Irritation die Angst vor einer Infektion oder Erwartung wirtschaftlicher Not ist. In einer Quarantänesituation ist die Angst von vielen Personen schwer unter Kontrolle zu halten, da sie keine Möglichkeit erkennen, an ihrer Situation durch eigene Mitwirkung etwas zu verändern.

Nach der derzeit überwiegenden Expertenmeinung ist das Erreichen einer Herdenimmunität eine unabdingbare Voraussetzung und somit das zentrale mittelfristige Ziel, um die unkontrollierte und grenzübergreifende Ausbreitung der Infektion mit allen daraus resultierenden Konsequenzen zu begrenzen bzw. zu verhindern.

Ob die zurzeit diskutierte automatisierte Fallverfolgung per Smartphone-App von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert wird und rechtlich durchsetzbar ist, hängt noch von einigen zu klärenden Randbedingungen ab.

Die bisherigen Strategien und Zielsetzungen sind durch ein grundsätzliches Dilemma gekennzeichnet:

  • Soll die Geschwindigkeit der Neuinfektionen gebremst oder beschleunigt werden?

Daraus ergibt sich die Frage, mit welchen Mitteln die Geschwindigkeit reguliert werden kann, damit der ‚Bremsweg‘ nicht zu lang ist und der ‚Verkehr‘ nicht vollständig zum Erliegen kommt? Idealer Weis sollte mit ‚abgestimmter Nutzung von Bremse und Gaspedal‘ gesteuert werden.

Die nachfolgenden Ausführungen beschreiben den Vorschlag eines Konzeptes im Sinne eines zweiten  strategischen Gleises zu den bisherigen Maßnahmen, um

  • die Steuerungsmöglichkeiten der Pandemie zu erhöhen,
  • das Angstniveau in der Bevölkerung zu reduzieren,
  • durch prospektive wissenschaftliche Untersuchungen die Kenntnisse über die Infektionsverläufe zu verbessern und
  • ‚unter dem Strich‘ die Anzahl der Todesopfer mittelfristig gering zu halten.

Ergänzende Strategie: „Zweites Gleis“

  1. Kernelement der ergänzenden Strategie ist ein Angebot für einen ausgewählten Personenkreis, bei dem auf Grund feststellbarer personenbezogener Merkmale nach derzeitigem Wissensstand das Risiko eines schweren oder tödlich endenden  Infektionsverlaufs einer Covid-19-Infektion als sehr gering anzusehen ist (z. B. zunächst die Altersgruppe von 30 – 50 jährigen gesunden Proband*innen).
  2. Das Angebot besteht – im Gegensatz zur konsequenten Vermeidung einer Infektion – darin, dass bei den das Angebot freiwillig annehmenden Personen eine unter medizinischen Kautelen durchgeführte Infektion durch Applikation des ‚nativen‘ (unveränderten) Covid-19-Virus durchgeführt wird (Beachten Sie unten stehenden ergänzenden Hinweis!).
  3. Mit diesem Angebot ist die Auflage für die beteiligten Personen verbunden, sich unmittelbar nach der Applikation einer wenigstens 14-tägigen strengen Einzelquarantäne zu unterziehen. Falls diese nicht ‚Zuhause‘ durchführbar ist, wird den Teilnehmer*innen ein entsprechend ausgestatteter Quarantäneplatz zur Verfügung gestellt. Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben und für eine gleichzeitige Behandlung mit einer Covid-19-Virusinfektion in Betracht kommen, kann eine gemeinsame Quarantäne durchgeführt werden. Die Quarantäne wird solange durchgeführt, bis nach ärztlichem Ermessen ein Ansteckungsrisiko anderer Personen auszuschließen ist.
  4. Die teilnehmenden Personen werden vorher bezüglich ihrer Risikomerkmale genau erfasst, über die Risiken der ärztlich applizierten Infektion eingehend aufgeklärt, sorgfältig untersucht, während der Quarantänezeit ebenso sorgfältig überwacht und nach Abschluss der Intervention nachuntersucht.
  5. Nach erfolgter Applikation erfolgt nach einer gewissen Zeit ein Kontroll-Abstrich, um die Infektion zu verifizieren. In den Fällen, in denen die Infektion nicht nachweisbar zu verifizieren ist, kann gegebenenfalls ein weiterer Versuch einer Virusapplikation erfolgen. Sofern zuverlässige Antikörpertests verfügbar sind, wird der Antikörperstatus zu gegebener Zeit bestimmt  bzw. vor der Teilnahme an der Maßnahme festgestellt, ob die teilnehmende Person eventuell bereits eine Infektion durchgemacht hat.
  6. Den teilnehmenden Personen wird eine entsprechende klinische Behandlung in einer vorher zu bestimmenden Klinik, gegebenenfalls mit Intensivbehandlung und Beatmungsmöglichkeit, bevorzugt in Aussicht gestellt, falls es zu einem schweren bzw. kritischen Verlauf kommen sollte.
  7. Insofern ist die Anzahl der Teilnehmer sorgfältig so zu kalkulieren, dass unter Berücksichtigung des individuellen Verlaufsrisikos der Teilnehmer*innen und der verfügbaren Behandlungsressourcen und Quarantäneplätze diese Zusage eingehalten werden kann.
  8. Die erhobenen Fall-Untersuchungsergebnisse werden für die Erforschung der Infektionsverläufe vom Beginn der Infektion an und für andere weitergehende Fragestellungen verwendet.
  9. Die teilnehmenden Personen erhalten ein Attest über die durchgeführte Maßnahmen und ein fälschungssicheres Kennzeichen (zum Beispiel ein nicht übertragbares Armband), mit dem sie sich als „immunisiert“ jederzeit ausweisen können.
  10. Die Teilnehmer*innen werden nach der durchgeführten Maßnahme von allen Auflagen des Sozial Distancing befreit. Sie kommen dann nicht mehr als Virusüberträger infrage und benötigen unter der Annahme der Immunität vorläufig keinen oder sehr viel geringeren eigenen Selbstschutz.
  11. Bei der unter ärztlicher Aufsicht durchgeführten Virusapplikation gelten nicht die bewährten strengen Vorschriften, die an Impfstoffe und die Durchführung von Impfungen gestellt werden. Mit der Covid-19-Virus-Applikation wird das Infektionsrisiko bewusst in Kauf genommen. Die in diesem Zusammenhang bestehenden Rechtsunsicherheiten sind im Wege einer entsprechenden Rechtsverordnung zu beseitigen.
  12. Bei der Applikationsweise des nativen Virus wird darauf geachtet, dass eine Übertragung des Virus, wie sie „der freien Wildbahn“ üblicherweise stattfindet, möglichst naturgetreu simuliert wird. Deshalb ist zu prüfen, ob die Applikation z. B. mit einem mit Covid-19-Virus beladenen Aerosol per Inhalation oder durch orale Zufuhr – möglichst mit standardisierter Virusdosierung – durchgeführt werden kann.
  13. Die Behandlung findet zunächst mit kalkuliert niedrigen Virusdosierungen statt, bis vor dem Hintergrund der gewonnenen Erfahrungen der optimale Virustiter des Applikationsmediums ermittelt werden kann, so dass die Behandlung im Ergebnis einer Infektion auf dem Wege des Zufalls am nächsten kommt. Es sollte in kurzer Zeit möglich sein, einen Dosierungskorridor zu finden, der sicherer ist als eine ‚Mund-zu-Mund-Beatmung‘ durch einen ‚Superspreader‘. Es ist davon auszugehen, dass die aufgenommene Virusmenge Auswirkungen auf die individuelle Immunantwort des Empfängers haben kann. Die klinische Fallschwere des Infektionsverlaufs hängt mutmaßlich aber hauptsächlich von dem Gesundheitszustand des Empfängers ab und nicht so sehr von der aufgenommenen Virusmenge.
  14. Die Kosten für die Maßnahme werden aus öffentlichen Mitteln bestritten, gegebenenfalls teilweise zulasten der gesetzlichen und privaten Krankenkassen.
  15. Die Durchführung der Maßnahme ist im Laufe der Zeit anzupassen, falls neue Forschungsergebnisse verfügbar sind.
  16. Die Maßnahme ist möglichst zeitnah zu starten, bevor die Behandlungsressourcen (Krankenhausbetten, Intensiv-Behandlungsplätze mit Beatmungsmöglichkeiten) ausgelastet oder überlastet sind.
  17. Es besteht – zumindest vorläufig – kein einzuforderndes Anrecht auf eine Teilnahme, wenn die gegebenen Sicherheits- und Risikobedingungen nicht erfüllt sind.

Ob das native Virus „naturgetreu“ technisch herstellbar ist und in einer applizierbaren Zubereitung bereitgestellt werden kann, ist dem Verfasser nicht genau bekannt.

Mit der ergänzenden Strategie lässt sich die moderate Entwicklung einer Herdenimmunität durch quantitative Fallsteuerung unterstützen und eine gleichmäßigere Auslastung der Klinikkapazitäten zur Behandlung von Covid-19-Fällen erreichen.

Spezielles Angebot an ‚Gesundheitsdienstleister‘

Vorüberlegungen

Nach einer Mitteilung des Robert-Koch-Instituts vom 02. April 2020 hatten sich in Deutschland bereits 2.300 Ärzte und Pfleger mit dem Covid-19 Virus angesteckt. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Diese Mitteilung weist darauf hin, dass die im medizinischen Bereich tätigen Personen einem besonders hohen berufsbedingten Infektionsrisiko ausgesetzt sind, insbesondere wenn sie mit der Behandlung von Corona-Erkrankten befasst sind. Diese Meldung erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu dem es in deutschen Kliniken noch freie Bettenkapazitäten gab und derzeit noch gibt.

Bei der in absehbarer Zeit zu erwartenden Überlastung der Krankenhäuser durch erkrankte Covid-19-Infizierte dürfte das Infektionsrisiko des Krankenhauspersonals nicht geringer, sondern eher höher werden. Insofern ist mit steigender Belastung des gesundheitlichen Versorgungssystem durch Covid-19-Kranke mit einem steigenden Ausfall von medizinischen Personal zu rechnen, die wegen einer eigenen Infektion zum nicht planbaren, mutmaßlich ungünstigsten Zeitpunkt aus der Versorgung ausfallen können.

Erste Phase

Das beschriebene Angebot wird – in einer ersten Phase – Personen angeboten, die im Bereich der Behandlung und Betreuung von Corona-infizierten Personen tätig sind und weiteren Personen, die im Zusammenhang mit dem Management und der Bewältigung der Corona-Krise in Schlüsselpositionen tätig sind. Diese Personen sind auch bevorzugt intellektuell in der Lage und gut vorbereitet, sich mit den Vor- und Nachteilen und möglichen Vorbehalten  auseinander zu setzten und wirksam nach Aufklärung zuzustimmen, da sie beruflich mit der Pandemie-Thematik bereits befasst sind.

In der folgenden Betrachtung wird modellhaft davon ausgegangen, dass 1.000.000 Personen in Deutschland in absehbarer Zeit für die Behandlung und Betreuung von mit Covid-19 infizierten Personen benötigt werden (Ärzte, Pflegekräfte, Heim-Pflegekräfte, sonstige im Gesundheitswesen tätige Mitarbeiter sowie weitere mittelbar und unmittelbar beteiligte Personen in Schlüsselpositionen – im Folgenden ‚Corona-Dienstleister‘)

Man bietet zunächst einem Anteil von 25% der 30 bis 50-jährigen Personen (grob geschätzt 50% der dort Beschäftigten = 500.000 Personen) der oben genannten Gruppe der Corona-Dienstleister, die nicht unter risikobelastenden Vorerkrankungen leiden, an, sich einer Infizierung mit dem nativen Covid-19 Virus zu den oben beschriebenen Bedingungen zu unterziehen (500.000 / 4 = 125.000 Personen).

(Optimistisch) angenommen, 80 % dieser Personen würden der Maßnahme zustimmen und teilnehmen, dann würden hierfür zunächst 100.000 Personen für eine gezielte Infektion mit dem nativen Virus in Betracht kommen. Bei einer Quote von 1,0 % klinisch behandlungsbedürftiger Fälle würde dies zu 1.000 Behandlungsfällen und bei einer Letalitätsquote dieser Gruppe unter den gegebenen Betreuungsbedingungen von 0,1% zu 100 in Kauf zu nehmenden Todesfällen führen.

Im Ergebnis hätten wir aber wahrscheinlich nach wenigen Wochen ca. 99.900 genesene bzw. symptomlos infizierte, immunisierte Corona-Dienstleister, die künftig für die Behandlung dringend gebraucht werden, bei denen manche Schutzmaßnahmen entbehrlich würden und die in der Zeit einer Systemüberlastung des Versorgungssystems nur mit einem verminderten Ausfallrisiko belastet wären. Solange das Versorgungssystem noch nicht überlastet ist, wäre ein durch die oben beschriebene Maßnahme organisierter Ausfall eines entsprechenden Anteils der Corona-Dienstleister besser zu verkraften, als wenn es zu einem späteren Zeitpunkt, wenn das System bereits überlastet ist, es voraussichtlich und unvermeidlich  auch zu einem hohen Ausfall von Corona-Dienstleistern kommt. Die Prognose ist für den Einzelfall des betroffenen Corona-Dienstleisters sicher besser, wenn es gelingt,  diesen Personenkreis unter kontrollierten Bedingungen zu infizieren, als auf den zu nicht verhindernden Zufall bzw. ‚Betriebsunfall‘ zu warten, und man dann nicht mehr genau ermitteln kann, wann die Infektion erfolgt ist. Gegebenenfalls hat der Betroffene vor der Feststellung des Infektes bereits schon andere Personen infiziert.

Unter der Annahme, dass die Maßnahme im Sinne der Zielsetzung gelingt, könnte in einer zweiten oder dritten Phase ein weiterer Anteil der Corona-Dienstleister vor dem Hintergrund der gewonnenen Erfahrungen entsprechend behandelt werden. Das Angebot könnte, sofern die entsprechenden Behandlungskapazitäten vorgehalten werden können, auch anderen Personengruppen angeboten werden.

Dieses Angebot wird nur den entsprechenden Personengruppen angeboten, soweit voraussehbar ist, dass die erforderlichen Quarantäne- bzw. Behandlungskapazitäten –  gegebenenfalls mit Beatmungsplätzen und Intensiv-Behandlungseinheiten, verfügbar sind. Die jeweiligen Kapazitäten sind, solange das gesundheitliche Versorgungssystem nicht ohnehin völlig überlastet ist, so schnell wie möglich zu schaffen und vorzuhalten.

Weitere Strategieüberlegungen

Falls sich die Vorgehensweise bewähren sollte und nachweisbar würde, dass hierdurch mehr Todesopfer verhindert als erzeugt würden, könnte die Strategie auch bei anderen Personengruppen in Erwägung gezogen werden.

Da bei Kindern und Jugendlichen nach derzeitigen Erkenntnissen das Risiko eines schwerwiegenden Verlaufs sehr gering ist, wäre eine Anwendung dieses Verfahrens bei Kindern und Jugendlichen vermutlich weniger problematisch, als eine vorläufig unbefristete, aber nicht endlos durchzuhaltende Ausgangssperre oder die Schließung von Schulen mit unsicherer Dauer. Das Risiko, dass Kinder als Virusträger andere Personen infizieren, könnte dadurch gemindert werden; dies wäre für den Schutz der besonders gefährdeten älteren Bevölkerung sehr hilfreich.

Wie viele Personen für eine solche Maßnahme in Betracht kommen, hängt auch in hohem Maße davon ab, wie viele Personen davon überzeugt werden können, dass eine solche Vorgehensweise für die Teilnehmer*innen der Maßnahme nicht nur sicherer ist, als den Zeitpunkt der Infektion und die Ausbreitung der Infektion „dem freien Spiel der Kräfte“ zu überlassen. Sie hätte ‚unter dem Strich‘ mutmaßlich weniger Todesopfer zur Folge.

Kapazitätsgrenzen

Nach einer Mitteilung vom 02. April 2020 beteiligten sich deutschlandweit 975 Kliniken oder Abteilungen an der Datenerhebung des sogenannten DIVI-Intensivregisters. Das sind über 80 % aller Einrichtungen mit Intensiv-Abteilungen. Demnach wurden 29.290 Intensivbetten registriert, wovon 11.500 zum Stichtag belegt waren. Davon seien wiederum allerdings nur 2.139 mit Covid-19-Patienten belegt gewesen. 9.020 Intensiv-betten waren zum Stichtag frei, insgesamt 8.770 Betten hätten binnen 24 Stunden neu belegt werden können.

Diese zum Glück bestehende freie Bettenkapazität könnte so lange für den Personenkreis genutzt werden, der sich einer ärztlich durchgeführten Infizierung unterzogen hat und einen schweren Infektionsverlauf hat, solange diese Behandlungsplätze nicht anderweitig benötigt werden. Mit jedem Tag ist damit zu rechnen, dass diese freie Behandlungskapazität schrumpfen kann. Möglicherweise lassen sich eine weitere Behandlungsplätze schaffen durch Nutzungsänderungen von Rehabilitationskliniken, leer stehenden Hotels und anderen Räumlichkeiten.

Der internationale Kampf um Beatmungsgeräte, Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel und andere Hilfsmittel ist bereits im vollen Gange. Im Laufe der Zeit können nicht nur ausländische sondern auch inländische Hersteller liefern, um den Zusammenbruch des Versorgungssystems zu verhindern.

Der limitierende Faktor einer Versorgungskrise wird aber mit Sicherheit der Mangel an hinreichend qualifiziertem medizinisches Personal in den jeweiligen Einrichtungen sein. Deshalb ist es besonders wichtig, die Personalressourcen mit allen verfügbaren Mitteln planungstechnisch zu steuern. Hierbei sind personelle Ausfälle durch Infektion des Krankenhauspersonals in die Planung einzubeziehen. Deutschland gehört zu den Ländern, die über die leistungsfähigsten Gesundheitsversorgungssysteme verfügen; deshalb lässt sich der Kollaps des Versorgungssystems noch einige Zeit strecken. Es ist aber damit zu rechnen, dass die gleichen Probleme in Ländern mit einer weniger leistungsfähigen gesundheitlichen Versorgungsstruktur in sehr viel stärkerem Ausmaß zu erwarten sind. Deshalb ist es voraussichtlich nicht möglich oder ethisch nicht zu vertreten, aus anderen Ländern, die in einer noch größeren Notlage sind, medizinisches Personal abzuwerben. Es ist schon problematisch genug, im Preiskampf um Atemschutzmasken und Beatmungsgeräte den weniger finanzkräftigen Ländern das Material durch Beteiligung an der Preistreiberei zu entziehen. Noch viel problematischer ist es aber, in einer bestehenden Pandemiesituation medizinisches Personal aus Schwellenländern zu akquirieren.

Die vorgeschlagene Strategie ist nicht nur aus dem Blickwinkel des nationalen Versorgungssystems zu bewerten, denn eine Pandemie ist ein globales, grenzüberschreitendes Problem und erfordert eine globale Betrachtungsperspektive.

Begründung des „Zweiten Gleises“

Vorbemerkung

Bei der vorbeschriebenen ergänzenden Strategie „Zweites Gleis“ handelt es sich um eine Vorgehensweise, gegenüber der rechtliche und ethische Bedenken und Vorbehalte geäußert werden können, die zu diskutieren sind. Unter den Bedingungen der Pandemie ist eine solche Vorgehensweise nach Auffassung des Verfassers trotz dieser Bedenken gerechtfertigt und sogar geboten.

Die nachfolgenden Bemerkungen erläutern einerseits die Perspektive für die jeweiligen, an der Maßnahme teilnehmenden Personen; andererseits werden strategische und politische Steuerungsaspekte für die Bewältigung der Corona-Krise angesprochen.

  1. Grundsätzlich ist hervorzuheben, dass es sich um den Vorschlag eines politisch unterstützten und öffentlich finanzierten Angebots für Personen handelt, die sich nach eingehender Aufklärung über die Risiken und Zusicherung einer gegebenenfalls notwendigen optimalen Behandlung freiwillig einer Infizierung mit dem nativen Covid-19-Virus unterziehen.
  2. Selbstverständlich kann auf die vorbeschriebene Vorgehensweise verzichtet werden, wenn ein zuverlässiger Impfstoff gegen eine Covid-19-Infektion allgemein verfügbar ist, dessen Impfrisiko deutlich geringer ist als das Risiko einer Infektion mit dem Covid-19-Virus.
  3. Es wäre nach Auffassung des Verfassers strategisch verfehlt, ‚alles auf eine Karte zu setzen‘ und sich darauf zu beschränken, die Impfstoffentwicklung zu unterstützen, auf den ersehnten Impfstoff zu hoffen und nur abzuwarten. Auch wenn es immer wieder Meldungen gibt, dass es international eine Vielzahl von Instituten gibt, die sich mit Hochdruck mit der Entwicklung eines Impfstoffes befassen und über erste Erfolge berichten, ist Skepsis angebracht, dass die Herdenimmunität auf diesem Wege in greifbarer Nähe wäre.
  4. Um eine weltweite Herdenimmunität von 60 – 70% auf dem Wege einer Impfung zu erreichen, müssten mindestens ca. 5 Mrd. Personen in einem überschaubaren Zeitfenster geimpft werden. Die Entwicklung des Impfstoffes und die Herstellung von 5 – 15 Mrd. Impfdosen (falls eine zuverlässige Immunität nur mit mehreren Impfdosen pro Person erreichbar sein sollte) ist nicht nur ein riesiges Geschäft, sondern es wird auch um die Frage gehen, wer von den Instituten und Forschern deswegen den Nobelpreis erhalten wird. Es ist damit zu rechnen, dass im Konkurrenzkampf um die Patentrechte und die Vermarktungsstrategien der Herstellerfirmen entweder die Qualität der Impfstoffe oder die Geschwindigkeit der Herstellung und der gerechten Verteilung unter den verschiedenen Nationen ‚unter die Räder‘ geraten kann.
  5. Darüber hinaus ist nicht als gesichert anzunehmen, dass 60-70% der Weltbevölkerung ohne weiteres bereit sind, sich in einem angemessenen Zeitfenster impfen zu lassen, selbst wenn die Impfung kostenlos für alle Impflinge sein sollte. Bei anderen Impfstrategien hat sich gezeigt, dass Unkenntnis, fehlende Einsicht und die Widerstände der Impfgegner einen langen Atem und viel Zeit erfordern, eine gewünschte Impfquote zu erreichen.
  6. In angemessener Zeit einen international konsentierten Sicherheitsstandard für eine global anwendbare Impfung zu erreichen, ist eine gewaltige Herausforderung an die Zusammenarbeit der Fachleute und der unterstützenden Politiker der verschiedenen Nationen. Eine nachhaltig einvernehmliche Kooperation ist in dem gegenwärtig international angespannten Klima zwischen den Weltmächten nicht als selbstverständlich vorauszusetzen. Wenn die international breit angelegte Impfung möglichst schnell und in allen Ländern gleichzeitig durchgeführt werden soll, ist die Anforderung hinsichtlich Verlässlichkeit der Wirkung, des Impfrisikos und der Nebenwirkungen besonders hoch, da man keine Zeit hat, aus Entwicklungsfehlern zu lernen. Der erste Wurf muss zuverlässig am Ziel ankommen. Jedenfalls muss man sich sehr sicher sein, dass die Risiken und Nebenwirkungen deutlich geringer sind als die Risiken und Nachteile einer Infektion mit dem Erreger selbst. Ob die Immunität, die durch die angestrebte Impfung erzielt wird, besser, zuverlässiger und langdauernder ist als Immunität, die in der Folge einer Infektion mit dem Covid-19-Virus erworben wird, ist eine offene, sehr entscheidende aber gegenwärtig nicht zu beantwortende Frage.

Es würde einem Wunder gleich kommen, wenn es auf dem Weg zu einem global tatsächlich verfügbaren Impfstoff keine neuen Hindernisse, Konflikte oder bösen Überraschungen geben würde.

Gegenwärtig spricht nichts dafür, auf die Hoffnung zu setzen, dass das Virus ohne menschliches Zutun plötzlich an Virulenz verliert und sich die Pandemie nachträglich als Paniktraum entpuppt. Das mag für mache anderen Krankheitserreger zutreffen, aber es wäre verfehlt, sich bei Covid-19 auf diese Hoffnung zu verlassen.

Es ist deshalb dringend zu empfehlen, auch (vorläufige) unkonventionelle Lösungsansätze zu ernsthaft prüfen.

Folgende Argumente sprechen für die vorbeschriebene ergänzende Strategie, mit der ein Infektionsereignis vom zu vermeidenden ‚Betriebsunfall‘ zum vorsätzlich herbeigeführten ‚Planungsgegenstand‘ und zum ‚prospektiven Forschungsprojekt‘ wird.

  1. Nach dem derzeitigen Wissensstand verläuft ein wesentlicher Teil der Covid-19-Infektionen symptomlos oder symptomarm, so dass für die meisten Infizierten von ihrer Infektion nichts bemerken oder zumindest nicht der ärztlichen Behandlung bedürfen.
  2. Das Durchschnittsalter der Covid-19-Todesfälle liegt z. B. in Italien und Deutschland bei über 80 Jahren – also in einem Alter, in dem andere Vorerkrankungen sehr häufig sind.
  3. Es mehren sich die Äußerungen von renommierten Rechtsmedizinern und Pathologen die Covid-19-infizierte Verstorbene obduziert haben, dass sämtliche bzw. die überwiegende Mehrzahl der obduzierten Fälle unter Vorerkrankungen gelitten haben, die von Covid-19 unabhängig sind (Lungenerkrankungen, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, extreme Adipositas etc.)
  4. Wenn sich eine Person, die nach Alter und gründlicher Voruntersuchung nicht von erkennbare Risikofaktoren und Vorerkrankungen betroffen ist, freiwillig einer Infizierung unter ärztlicher Aufsicht zu den oben beschrieben Bedingungen unterzieht, kann sie den Zeitpunkt der Infektion und der anschließenden Quarantäne selbst bestimmen, planen und sich auf diese Zeit körperlich, beruflich, familiär und mental bestens vorbereiten. Es steht ihr im Bedarfsfall ein gesicherter Behandlungsplatz zur Verfügung. Nach durchgestandener Infektion kann sie sich ihrer Immunität sicher sein und sich als ‚immunisiert‘ jederzeit ausweisen. Diese subjektive, durch eigenes Zutun erworbene Sicherheit senkt den Stresspegel der Person in der Pandemiezeit erheblich. Insofern ist es für die infrage kommenden Personen eine kluge Entscheidung, ein solches Angebot anzunehmen. Die gilt insbesondere für Personen, die im medizinischen Bereich tätig sind und das Risiko der Maßnahme bestens verstehen und bewerten können.
  5. Der Arbeitgeber und das persönliche soziale Umfeld der teilnehmenden Person können sich auf die geplante Maßnahme der 14-tägigen Quarantäne des Mitarbeiters bzw. Angehörigen problemlos einstellen.
  6. Wenn eine für die Maßnahme in Betracht kommende Person das Angebot nicht in Anspruch nimmt, wird sie zwangsläufig mit dem Risiko einer Infektion weiter leben müssen und in latenter Angst vor einer Infektion, mit mehr oder weniger Aufwand und Disziplin dafür Sorge tragen, das Infektionsrisiko möglichst gering zu halten. Infiziert sich die Person entgegen ihren Bemühungen dennoch, muss sie damit rechnen,
    • dass der genaue Zeitpunkt der Infektion und die Infektionsquelle unbekannt bleiben,
    • dass sie wenigstens zeitweise als unerkannter Virusträger andere Personen infizieren kann, 
    • dass sie von der Infektion unvorbereitet betroffen wird,
    • dass der Zeitpunkt des Auftretens von Symptomen im Zweifelsfall sehr ungünstig sein kann,
    • dass die Infektion zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die Behandlungsmöglichkeiten wegen einer zu erwartenden Überlastung des Versorgungssystems eingeschränkt sein können und
    • dass die Infektion zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die Person älter geworden ist und möglicherweise aus anderen Gründen gesundheitlich angeschlagen ist, womit sich die Wahrscheinlichkeit eines milden Verlaufs der Infektion verringert.

Ausblick

Ein wesentlicher Aspekt des beschrieben Konzeptes ist, dass die Personen, die an der Maßnahme teilnehmen, durch eigene Entscheidung (Annahme des Angebotes) und eigenes Zutun (Durchführung der Quarantäne zu einem selbst gewählten Zeitraum) unter Inkaufnahme eines Restrisikos (ungünstiger Infektionsverlauf, gegebenenfalls mit Krankenhausbehandlung) maßgeblich dazu beigetragen haben, die subjektive Sicherheit der (vorläufigen) Immunität zu erreichen. Diese Vorgehensweise ist eine sehr funktionale Angst-Bewältigungsstrategie, da die Person von der sorgenvoll passiv abwartenden Position zu der zuversichtlich aktiv entscheidenden und handelnden Position wechselt.

Bei den meisten Menschen werden die keineswegs unbegründeten Ängste vor einer Erkrankung und wirtschaftlicher Not dadurch verstärkt, dass sie gegenüber dem unbekannten und unsichtbaren Virus einerseits und den staatlich verordneten Restriktionen (Ausgangsbeschränkungen, Quarantäneanordnungen etc.) sowie den zu erwartenden wirtschaftlichen  Verwerfungen (Folgen des Lockdowns) andererseits hilflos und ‚zur Untätigkeit verdammt‘ ausgeliefert sind und in ihren eigenen Entscheidungsmöglichkeiten hochgradig eingeschränkt sind.

Wenn sich herausstellen sollte, dass die beschriebene Strategie im Sinne der Zielsetzung erfolgreich sein sollte, könnte sie als Modell für andere Staaten dienen, entsprechen zu verfahren. Die Strategie steht nicht im Widerspruch zu anderen Konzepten der Krisenbewältigung. Die grundsätzliche Vorgehensweise ist gegebenenfalls unter Berücksichtigung der juristischen und  kulturellen Bedingungen des Anwendungsgebietes anzupassen.

Ergänzende Anmerkung

In der Presse und auch von Wissenschaftlern werden die Bergriffe „Erkrankte“ und „Infizierte Personen“ im Zusammenhang mit Zahlenangeben sehr häufig gleichgesetzt. Dies führt zu einem nicht hilfreichen Dramatisierungseffekt in der Öffentlichkeit und steigert unnötig die Angst vor einer Infektion, da bei der Mehrzahl der infizierten Personen der Verlauf ohne Beschwerden bzw. unbemerkt bleibt.

Auch nicht jede Person, bei der z.B. eine ‚Umfeld-Testung‘ oder ein Basisfeld-Screening durchgeführt wird, ist wegen einer solchen Untersuchung bereits ein „Patient“.

Vorschlag:
Man sollte nur dann von ‚Patienten‘ und ‚Erkrankten‘ sprechen, wenn es sich um an einer Krankheit oder krankheitswertigen Gesundheitsstörung mit Symptomen leidende Personen handelt, die der (ärztlichen) Behandlung bedürfen. Symptomlose infizierte Personen zählen nicht dazu.
In diesem Sinne sollte man auch nur dann von ‚genesenen‘ oder ‚geheilten‘ Personen sprechen, wenn diese vorher eine klinische Symptomatik hatten. Wer keinerlei krankheitswertige Symptome hatte, sollte als ‚symptomlose infizierte‘ oder ‚nicht behandlungsbedürftige infizierte‘ Person bezeichnet werden. Diese Personen belasten auch keine Krankenhaus-Bettenkapazität.
Auch wenn diesbezüglich noch keine belastbaren Zahlen verfügbar sind, sollte möglichst darauf geachtet werden, bei Infizierten Personen zwischen (mutmaßlich) aktuell infektiösen Personen und durch die Infektion bereits immunisierte Personen bzw. ‚nicht mehr infektiösen‘ Personen zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist für die Bewertung der Ausbreitung der Infektion in der öffentlichen Diskussion von Bedeutung.

Autor:
Walter Roeb-Rienas,
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,
Facharzt für Psychosomatische Medizin,
Rehabilitationswesen,
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Tel: +49 221 280 7991,
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