Jeden Tag ∞ das gleiche Leid … das Essen verdirbt mir immer den Appetit… ꙍꙌ

Problem?

Ja! Es dauert einfach zu lange, bis der Appetit beseitigt ist.

Ein Teil meines Problems ist, dass ich zu oft von hervorragenden Köchinnen und Köchen umgeben bin, die es gut mit mir meinen.

Das hat dazu geführt, dass mein BMI mir bestätigt, was ich beim Treppensteigen immer wieder vergeblich versuche zu ignorieren: mindestens 15 kg zu viel fetthaltige Biomasse, die ich mit mir herumschleppe. Und es ist verdammt unbequem, davon wieder herunter zu kommen.

Sogar Boris Johnson hat erkannt, das Übergewicht – besonderes im Zusammenhang einer Covid-19-Infektion – die Lebenserwartung empfindlich senkt.

So viel zum Futterthema.

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Sprechen wir über das Geld. Auch über mein Geld.

Ich habe in meinem Berufsleben 20 Jahre als endverantwortlicher Chefarzt einer zuletzt mit knapp 400 Betten belegten Klinik ‚gutes‘ Geld eingenommen; ich bekam ein komfortables Gehalt. Als Chefarzt hatte ich es aber abgelehnt, von sog. Privatpatienten oder Selbstzahlern Geld anzunehmen; deshalb gab es in meinem Verantwortungsbereich auch keine bevorzugte Behandlung.

Ob ich das Geld wirklich verdient habe, mögen andere beurteilen. Als ich genug (Geld) hatte, habe ich aufgehört und gekündigt. Ohne Abfindung; für das Beenden einer Tätigkeit nehme ich kein Geld. Danach habe ich als Kassenpsychotherapeut (Verhaltenstherapie) in eigener Praxis und als Ausbilder von Psychotherapeuten 7,5 Jahre weiter gearbeitet. Meine eigenen Patienten waren ca. 30% Frauen und 70% Männer – überwiegend ältere Patienten. (Bei den meisten ambulanten Therapeuten sind diese Zahlenverhältnisse genau umgekehrt). Mein Verhältnis Kassenpatienten / Privatpatienten: 92,1% / 7,9%; überwiegend Kurzzeitbehandlungen unter 25 Stunden. Einer meiner Schwerpunkte: verurteilte Straftäter. Mit anderen Worten: Ich habe mir erlaubt das zu tun, was die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen vermeiden. Es kommt mutmaßlich auf das Verhältnis von Arbeitsaufwand zu Ertrag an.

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Manche Leute sagen, Psychotherapeuten sind mit einem (Brutto-)Stundenhonorar (sog. Kassenpatienten; 50 Minuten ‚Patientenkontakt‘) von ca. 82 EURO (Stand 2015) die Hungerleider im Bereich der gesetzlich geregelten Heilkunde.

(Aktuelle Modellrechnungen von Kassenpsychotherapeuten – Richt­li­ni­en-The­ra­pi­en – hier; die Honorare der psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten unterscheiden sich in Deutschland praktisch nicht).

Die anderen Facharztgebiete fangen etwa beim doppelten durchschnittlichen Einkommen (nicht Umsatz!) als Kassenärzte an (z. B. Kinderärzte, Allgemeinärzte, Allgemeinchirurgie); die Vertreter mancher anderer Fachgebiete (Labormedizin, Radiologie, Plastische Chirurgie, Kieferchirurgie, Nephrologie etc.) haben für solche Honorare nur ein herablassendes Lächeln übrig.

Manche Leute sagen, der zehnfache Lohn eines Mindestlohnempfängers (2015: 8,15 EUR) für eine Quasselstunde bei einer Psychotherapeutin sei eine Unverfrorenheit.

Manche Leute sagen, die Tätigkeit eines Psychotherapeuten sei nicht nur ein außergewöhnlich schwieriger und belastender Job, sondern vor Allem eine sehr wichtige und unverzichtbare Leistung.

Andere Menschen sagen, dass jeder Therapeut [fast] beliebig lang auf Kosten der Krankenkasse über ‚dies und das‘ lamentieren kann, solange der Patient brav immer wieder kommt, ohne dass der Nutzen dieser Plauderei überprüfbar ist. Im Übrigen würden überwiegend die falschen Patienten bei den Psycho-Experten landen, nämlich diejenigen, die zu viel Zeit haben, um über Probleme zu sprechen, anstatt sie zu lösen.

Manfred Lütz: „Irre! Wir behandeln die Falschen. Das Problem sind die Normalen“

Manche sagen, Psychotherapeuten wären zu blöd, um mit einem vernünftigen Job ihre Brötchen zu verdienen. Andere unterstellen einer Psychotherapeutin ‚übermenschliche‘ Fähigkeiten.

Tatsache ist, dass eine Psychotherapeutenausbildung an anerkannten Instituten nach den ‚Richtlinien‘ – bisher – eine der zeitaufwändigsten und teuersten akademischen Qualifikationen ist, die es in Deutschland gibt. Das kann ich bestätigen, da ich in diesem Bereich über 25 Jahre als Institutsleiter, Ausbilder, Supervisor und Prüfer tätig war.

Ich hatte Gründe, meine Tätigkeit als Chefarzt, später als Kassen-Psychotherapeut und Ausbilder, sowie als ‚Verbandsfunktionär‘ und Institutsleiter ‚an den Nagel zu hängen‘, ohne auf einen Rentenbescheid zu warten.

Als ‚Altersruhegeldempfänger‘ brauche ich keine Rücksichten zu nehmen, ob ich einem Berufskollegen oder Geldgeber mit meinen Bemerkungen ‚auf die Füße trete‘.

Wozu die lange Vorrede?

Damit erkennbar ist, mit welcher Vorerfahrung und mit welchen tatsächlichen oder mutmaßlichen Eigeninteressen ich berichte.

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Eine Beobachtung, die ich bei meinen Patienten immer wieder gemacht habe:

Fast alle Patienten hatten Probleme mit dem Geld – ob arm oder reich, ob Frau oder Mann, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, ob vorbestraft oder nicht, unabhängig vom Bildungsgrad.

Viele Kolleg*innen, die ich kennen gelernt habe, vermeiden es mit unterschiedlichen Begründungen, mit ihren Patienten über Geld zu sprechen und schon gar nicht über ihr eigenes Geld und ihr Verhältnis zum Geld, außer wenn ein Privatpatient das Honorar nicht zahlt.

Das Thema Geld war für mich in meiner psychotherapeutischen Tätigkeit nicht nur ein unverzichtbares Thema, sondern auch ein wichtiges diagnostisches Kriterium. Für ‚Schnäppchenjäger‘ ist Geld das Problem Nr. 1, allerdings meistens nicht die Lösung. Schnäppchenjagd und Rabattschlachten sind ja in unserem Kulturkreis zum Volkssport geworden. Das Credo „Geiz ist Geil – ich bin doch nicht blöd“ hat sich weitgehend durchgesetzt.

Therapeutische Prozesse dauern oft – allerdings nicht immer – deshalb lange, weil die Geldprobleme nicht angesprochen werden; umgekehrt habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele Patienten sehr schnell von ihren psychischen Problemen ‚geheilt‘ sind, wenn die Geldprobleme ‚erledigt‘ sind.

Musterbeispiel: Wenn ein/e Patient*in ihre/seine Berufsunfähigkeitsrente unbefristet bewilligt bekommen hat, ist er/sie wie durch ein Wunder von allen psychischen Problemen und Symptomen geheilt, unabhängig davon, ob eine Therapie drei Jahre oder drei Stunden gedauert hat oder wie viele Therapeuten sich mit diesem ’Fall‘ bereits beschäftigt haben. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.

Was hat das Geldthema mit dem Appetit und den Speckröllchen zu tun?

Ich denke, dass es um die Frage geht, ob und wann eine Sättigung eintritt, so dass es unattraktiv wird, weiter zu futtern beziehungsweise weiter dem Geld hinterher zu laufen, um sich das zu kaufen, was man zum Leben nicht benötigt.

Die Folge der späten Sättigung ist, dass es gleichermaßen schwer fällt, sich von Speckrollen und überflüssigem Kram im Keller zu trennen.

Klingt alles ein bisschen einfach, ist aber trotzdem oft zutreffend. Stimmt allerdings nicht immer. Deshalb lohnt es sich genauer hinzuschauen.

Die Unterscheidung zwischen Hunger, Appetit und Gier ist in unserem Kulturkreis nicht einfach; es lohnt sich aber darauf zu achten.