Walter Roeb-Rienas,
Version vom 2020-07-12, – in Arbeit –
Die Welt war vermutlich schon immer verrückt, seitdem der Globus von Menschen bevölkert ist. Seitdem es Geschichtsbücher gibt, lassen sich die Absurditäten und Grausamkeiten der menschlichen Population zurückverfolgen.
Ob die Welt vor dem Auftritt von Adam und Eva im Paradies auch schon verrückt war, wissen wir nicht genau; es gibt aber viele Anhaltspunkte, die zu der Annahme berechtigen, dass die vormenschliche Biologie immerhin so gut funktioniert hat, dass die Menschheit sich daraus entwickeln konnte.
Wer legt fest was verrückt ist und was normal ist? – Ganz einfach der Mensch, wer denn sonst? Jeder einzelne kann entscheiden was er/sie für verrückt hält. Oder eine Gruppe von Personen, ein Regierung, ein Staat oder die Weltgemeinschaft einigt sich auf die Unterscheidung.
Zurück in die Gegenwart:
Trotz der globalen Vernetzung ist es nicht realistisch anzunehmen, dass es gerade jetzt gelingt, dass sich die ca. 8 Milliarden Personen der gegenwärtigen Weltbevölkerung, mit ihren unterschiedlichen ideologischen und kulturellen Perspektiven und Lebensgeschichten, auf ein
– von allen Menschen als vernünftig anzusehendes gemeinsames –
Konzept des Zusammenlebens auf diesem Erdball
einigen werden.
Die Welt wäre aber wahrscheinlich auch nicht besser, wenn alle Menschen – gestern, heute und morgen – das gleiche denken würden, und alle nach den gleichen Regeln handeln würden. Eine Weiterentwicklung wäre nicht möglich, wenn alle Prozesse des Zusammenlebens morgen genau so ablaufen würden wie gestern.
Nicht nur die Vielfalt der Sichtweisen in den Köpfen der Menschen, sondern die unvermeidbar sehr unterschiedlichen geografischen und klimatischen Lebensbedingungen auf der Erdoberfläche bringen es mit sich, dass es nicht möglich ist, dass an allen Orten die gleichen Entscheidungen und Handlungen auch die gleichen Auswirkungen und Bedeutungen haben.
Diese simplen Feststellungen kann man als banale Selbstverständlichkeiten ansehen und beiseite schieben, da sie nicht erwähnenswert sind.
Erwähnenswert sind sie aber vielleicht doch, denn mit
- der Globalisierung,
- der Möglichkeit, innerhalb von 24 Stunden fast jeden beliebigen Ort des Globus zu erreichen und
- der weltumspannenden Kommunikation in ‚Echtzeit‘,
ist die Welt nicht nur scheinbar ‚kleiner‘ geworden. Es besteht seit einiger Zeit die Möglichkeit, dass sich jeder Mensch sofort und vor dem Publikum der Weltöffentlichkeit in die Angelegenheiten beliebiger anderer Personen oder Populationen einmischen kann. Diese Möglichkeiten hat es vor wenigen Jahren noch nicht gegeben.
Die Illusion, mit einem knapp 200 g schweren Handgerät mühelos plötzlich nicht nur die Handhabung des Gerätes, sondern auch noch die ganze, in dem kleinen Bildschirm verborgene Welt zu verstehen, leistet einer grenzenlosen Selbstüberschätzung Vorschub. Sie verführt zu dem Traum, z. B. mit Millionen von Followern in kürzester Zeit der Leithammel einer weltweiten Social-Media-Community zu werden. Man wähnt sich schnell in guter Gesellschaft mit den zahllosen Startup-Gründern, die davon träumen, auf den Spuren von Zuckerberg, Bezos und Co. ohne nennenswerte Mühe nicht nur berühmt, sondern auch noch schnell reich zu werden.
Die Verführung – vor dem Hintergrund der Illusion des Durchblicks in der auf das Bildschirmformat verkleinerten Welt – ‚Äpfel mit Birnen‘ zu verwechseln, ist eine nahe liegende Quelle für Meinungsverschiedenheiten, die in den sozialen Medien nicht mit Sachargumenten, sondern mit wachsender Begeisterung auf dem Wege des ‚Shitstorms‘ ausgetragen werden. Auf dieser Grundlage ‚per sé Recht zu haben‘, ohne sich mit Meinungen anderer Personen, seriösen Quellen und Begründungen ernsthaft zu befassen, ist zum Volkssport geworden. Spott und Beschimpfung sind die ‚Verteidigungswaffen‘ gegen die gegnerischen Angriffe mit den Mitteln aus dem gleichen Arsenal.
Auf die Veränderungen durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten – mit denen die jüngere Generation als selbstverständliche Bedingung aufwächst – sind wir als Mitglieder der Population Menschheit nicht gut vorbereitet. Es ist mittlerweile für die meisten Zeitgenossen kaum noch vorstellbar, ohne Internet-Vernetzung und ohne ungehinderten internationalen Reiseverkehr existieren zu können.
Die entscheidende Frage ist, ob es der Weltgemeinschaft vielleicht dennoch gelingen könnte, die Chancen der globalen Vernetzung zu nutzen, um sich auf ein
gemeinsames Konzept des Zusammenlebens
zu verständigen.
Diese Abhängigkeit von Netzwerkgeräten und technischen Verkehrsmitteln kommt zu unserer unabweisbaren Abhängigkeit von unseren biologischen Lebensgrundlagen noch hinzu; jedenfalls befreit uns der technische Fortschritt nicht davon, uns um den Fortbestand unserer biologischen Existenz zu kümmern.
Wir funktionieren als Mensch grundsätzlich anders als die Geräte, die unsere Zeitgenossen erfunden haben; das gilt für die humane Hardware gleichermaßen wie für unsere Software; das ‚menschliche Betriebssystem‘ folgt biologischen Gesetzmäßigkeiten. Daran wird auch Künstliche Intelligenz (KI) nichts ändern.
Das Covid-19-Virus scheint unsere Pläne gründlich durcheinander gebracht zu haben. Die zunächst unfassbare Bedrohung unserer biologischen Existenz durch ein unsichtbares Virus unbekannter Herkunft war zunächst schwer zu glauben und als ein für jeden von uns real existierendes Problem zu akzeptieren. Dass eine ‚einfache Grippe‘ aus China in einem halben Jahr zu einer Pandemie mit einer Übersterblichkeit von mindestens 500.000 Todesfällen geführt hat, passte nicht in unsere Vorstellung von wissenschaftlicher, medizinischer und technischer Beherrschbarkeit.
Der Lockdown, eine wochenlange Quarantäne und gravierende Beschränkungen der Reisefreiheit haben unseren bisherigen unbegrenzten – scheinbar globalen – Aktionsradius schlagartig auf Null gesetzt.
Daraus können und sollten wir etwas lernen. Wenn wir ‚mit dem Rücken zur Wand‘ nur abwarten, bis wir durch eine Impfung von dem Covid-19-Virus befreit werden, haben wir eine Chance vertan. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächste biologische Krise uns wieder vor neue Herausforderungen stellt.
Da die Uhren der Geschichte noch nie rückwärts gelaufen sind, ist die Vorstellung von „Back to Normal“ wahrscheinlich ein schlichter Kindertraum. Und wer sagt uns, was mit „Normal“ denn gemeint ist.
Deshalb sollten wir über die Grundlagen unserer eigenen Funktionsweise nachdenken und überlegen, wie wir unter diesen Bedingungen nicht nur überleben können, sondern wie wir als Mitglieder der Population Mensch
- auf eine würdige Art und Weise zusammen leben wollen,
- uns die begrenzen Ressourcen dieses einmaligen Globus auf eine faire Weise teilen können und
- uns auf seiner begenzten Oberfläche auf angemesse Art ver-teilen können.
Damit ist gemeint, dass wir so leben, dass sich unser Lebensstil und unsere Entscheidungen als gute Empfehlungen auch für künftige Generationen eignen.